Never wanted you
Fanstory von Ryoko
Als die Sonne durch die Rolläden fiel und Nanamis Augen sich öffneten, war das Erste, woran sie dachte, der Kalender. Schnell hopste sie aus dem Bett, griff den roten Stift und hakte den Tag im Kalender ab. Der Zeitabschnitt bis zum großen, roten Kreis wurde immer kürzer... In drei Tagen würde Nanami ihr erstes Pokémon erhalten. Da sie in Sinnoh wohnte, begrenzte sich ihre Wahl also auf Panflam, den Feueraffen, Plinfa, den Wasserpinguin und Chelast, die Pflanzenschildkröte.
Nanami hatte sich längst entschieden. Immerhin hatte sie das letzte halbe Jahr, welches sie auch schon so sehnsüchtig verstreichen gelassen hatte, genug Zeit zum Wählen gehabt. Plinfa sollte es sein. Mit Panflam konnte sie nichts anfangen und Chelast fand sie einfach nur langweilig. Es sah auch irgendwie schwächlich aus...
Ihre Mutter Ayaka hatte sich schon oft über Nanamis Oberflächlichkeit gegenüber Pokémon geärgert. "Pokémon sind alle Lebewesen!" hatte sie vorwurfsvoll geprädigt. Insgeheim hatte ihr Nanami zwar Recht gegeben, war über ihre Meinung aber nie hinweg gekommen.
Nanami stürmte hinunter und setzte sich an den Tisch. "Guten Morgen, Schatz", sagte ihre Mutter, die eine Kaffeetasse vor ihre Tochter stellte, "Hast du gut geschlafen?" "Ja", meinte Nanami glücklich, "Ich habe von Abenteuern mit Plinfa geträumt!"
Ayaka seufzte. "Nanami... Versteif dich nicht sosehr auf Plinfa... Du weißt, dass es viele Kinder hier gibt, die ihr Pokémon am Samstag erhalten. Wenn du nicht schnell genug bist, dann...-" "Ich bin schnell genug", unterbrach Nanami sie, "Darauf kannst du wetten!" Mit einem weiteren Laut der Missgunst verließ die ältere den Raum. Ihr selbst war es ähnlich wie Nanami ergangen...
Am Tag darauf begann Nanami bereits, ihre Tasche für die Reise durch Sinnoh zu packen. Pokétch, Klamotten, ihre heißgeliebte Wolldecke und noch ein paar Süßigkeiten. Proviant erst am Tag der Abreise, ebenso das Startpaket, was Professor Eibe ihr geben würde: Fünf Pokébälle, Pokédex, einen Trank und natürlich Plinfa. Nanami packte fröhlich ihr Plinfa-Plüschi ein. "Das werde ich Plinfa schenken! Es wird sich bestimmt freuen!"
Als sie schließlich mit dem Packen fertig war, warf sich Nanami aufs Bett und dachte nach. Die Arme hinter dem Kopf verschränkt und zur Decke starrend, malte sie sich aus, welche Pokémon sie fangen würde. "Hm... Plinfa ist ein Wasserpokémon...", überlegte das blonde Mädchen laut und ihre grünen Augen huschten ruhelos über die Kacheln der Zimmerdecke, "Dann fange ich... Sheinux und Charmain... und Staralili... und...-"
"Nanami! Komm mal runter, ich hab was für dich!" "Ja!", sie sprang auf und flitzte die etwas steile Treppe nach unten. Ihre Mutter hielt eine kleine, grüne Schatulle in der Hand. "Hier, das habe ich damals auf meiner Pokémonreise auch benutzt", sagte sie und reichte ihrer Tochter die Ordenbox, "Darin bewahrst du deine Orden auf." "Cool!", rief Nanami, "danke Mama!" "Und das hier", fügte sie hinzu, "das hat mein Startpokémon Inu immer getragen... Aber nachdem es sich entwickelt hatte, war es ihm zu klein." Nanami bekam ein blaues Halsband in die Hände gelegt. "Das wird Plinfa perfekt stehen!", rief diese glücklich, lief wieder nach oben und steckte das Band ein.
Als es endlich der Abend vor dem großen Tag gekommen war, saß Nanami ruhelos auf ihrem Bett. Lustlos durchsuchte sie die Fernsehsender nach etwas, was sie ablenken könnte, fand aber nichts. Eigentlich müsste sie erst um 8.00 Uhr bei Professor Eibe sein, aber da sie sich Plinfa unbedingt sichern wollte, würde sie um 7.00 Uhr schon bei ihm aufkreuzen...
Nanami legte sich schließlich schlafen, nachdem sie ihren Schiggy-Wecker gestellt hatte. Er würde sie kurz vor sechs aus dem Schlaf reißen, um endlich Plinfa abzuholen. Nanami machte kein Auge zu. Sie lag stundenlang wach, dachte über ihren ersten Pokémonkampf nach, über das bevorstehende Abenteuer. Darüber, ob ihre Mutter sie sehr vermissen würde und andersrum und wie sie sich mit Plinfa verstehen würde. Irgendwann gegen Morgen döste Nanami dann endlich in einen traumlosen Schlaf.
Es kam ihr vor, als ob sie nur zehn Minuten geschlafen hätte, wobei es doch fünfeinhalb Stunden waren, als der Wecker das Mädchen schrill aus ihrem Schlaf holte. Schnell ließ Nanami ihn verstummen und rieb sich dann erstmal ausgiebig die Augen. "Oh mann...", murmelte sie müde, "Was für eine Nacht..."
Nanami zog sich an und als sie wieder an Plinfa dachte, verschwand die Müdigkeit. Die Aufregung holte sie wieder ein. Während nachts in jeder wachen Minute ihr Herz schnell geschlagen hatte, so spürte sie jetzt am ganzen Körper ein Zittern. So aufgeregt war sie in ihrem ganzen Leben noch nie gewesen.
Ihre Mutter war erstaunlicherweise bereits wach. "Willst du frühstücken, Nanami?", fragte sie und lächelte beruhigend und sanft wie immer. "Nein... Ich kriege nichts runter. Wenn ich Plinfa hab, können wir essen!" "Nanami, du...-" "Bis nachher!"
Nanami stürmte aus dem Haus, schwang sich auf ihr Fahrrad und fuhr in Richtung Labor. Dort würde Professor Eibe - vielleicht ein wenig überrascht über ihr eine Stunde zu frühes Auftauchen - auf sie warten und ihr Plinfa aushändigen. Der Weg kam ihr ewig vor, obwohl sie so schnell fuhr, dass ihre Oberschenkelmuskeln zu kribbeln begannen. Bis zum Labor war es nichtmal ein ganzer Kilometer, so hatte Nanami es schnell erreicht.
Aber als sie vom Rad stieg, erschrak sie und blieb wie angewurzelt stehen. "W-Was...?" Vor dem Labor standen vier Polizeiautos und mindestens ein dutzend Polizisten. Nanami erkannte eine blauhaarige Frau in Uniform, sie war eine Freundin ihrer Mutter. Schnell lief das Mädchen zum Officer. "Was ist hier passiert?", fragte Nanami atemlos.
"Oh, Nanami!", bemerkte die Frau, "Was machst du denn schon so früh hier?" "Ich wollte mein Pokémon abholen!", in Nanamis Stimme sammelte sich Verzweiflung. "...Tut mir leid, Nanami..." "Was ist denn passiert?!" "Ich hatte deiner Mutter doch von Team Galaktik erzählt. Sie haben die Rückwand des Labors gesprengt und sämtliche Pokémon mitgenommen, die sich im Labor befanden... Lediglich zwei sind übrig geblieben."
"Nur zwei...?", in Nanamis Augen sammelten sich Tränen. "Geh doch einfach mal zum Professor hinein, er kann dir bestimmt helfen", aufmunternd legte die ältere ihre Hand auf den Kopf des Gegenübers. Nanami, die sich damit kaum getröstet fühlte und sogar noch trauriger wurde, schlurfte nervös ins Labor und rieb sich dürftig über die Augen.
Im Labor war es totenstill. Es roch nach Schwefel und Aschepartikel schwebten in der Luft umher. Alles war verwüstet, Schränke ausgeräumt und Geräte zerstört. Nanami ging zum großen Fenster auf der Nordseite des Erdgeschosses und schaute auf die riesengroße Wiese, die sich hinter dem Labor erstreckte und zu ihm gehörte. Dort tummelten sich normalerweise wahrscheinlich mehr als hundert Pokémon. Als kleineres Kind hatte Nanami immer auf dieser Wiese mit dem Bojelin von Professor Eibe gespielt - oder mit dem Kinoso ihrer Mutter.
Jetzt war die Wiese einfach nur gähnend leer. Blumen waren zertreten und abgeknickt und ein Baum wies erhebliche Brandspuren auf. Wahrscheinlich hatte sich ein Feuer-Pokémon mit einem Flammenwurf oder einer Glut gewehrt. Nanami fühlte bei dem Anblick der leeren Wiese einen stechenden Schmerz in ihrem Herz. Das, womit sie aufgewachsen war, war nun zerstört. In einer einzigen Nacht - und ausgerechnet vor ihrem großen Tag.
Langsam stieg Nanami die Treppe empor und im Raum über ihr fand sie Professor Eibe am Tisch sitzend auf. Er hatte den Kopf auf die Hände gestützt und sah fürchterlich niedergeschlagen aus. "Professor...?", sagte Nanami leise und trat zu ihm. Der grauhaarige Mann sah auf. "Nanami...?", fragte er leicht ungläubig. "Ja...", sie setzte sich zu ihm an den Tisch, "Ich habe gehört, was passiert ist..."
"Es ist schrecklich!", Nanami erschrak leicht vor Eibes Lautstärke, "Jedes Pokémon ist weg..." "Das tut mir so leid, Professor", meinte Nanami ehrlich. In diesem einen Moment hatte sie Plinfa vergessen, obwohl ihre Augen noch immer etwas gerötet waren. "Nicht nur, dass ich den neuen Trainern keine Pokémon geben kann... Die gefangenen der alten Trainer sind auch weg... Und Bojelin..."
"Bojelin ist auch weg?!", keuchte Nanami und Eibe nickte traurig. Einige Sekunden herrschte Stille. Nanami fasste den Entschluss, Team Galaktik zu fassen. Und wenn sie Lichtjahre trainieren müsste. Professor Eibe schien wieder gefasster und stand auf. "Zwei Pokémon sind übrig geblieben...", murmelte er, "Komm mit".
Eibe führte Nanami die Treppe hinunter und in einen Nebenraum, der bis auf einen Tisch und drei Stühle ziemlich leer war. Nanami sah sich um und erspähte ein Shnurgarst in der Ecke. "Ist das übrig geblieben?", meinte sie und versuchte es zu streicheln. Das Katzenpokémon fauchte unmissverständlich und trat zurück. "Ja...", meinte Eibe, "Aber das werde ich dir nicht geben können, denn es ist voll entwickelt und würde dir nicht gehorchen... Außerdem muss sogar ich aufpassen, dass es mich nicht beißt." "Verstehe..."
"Dieses Pokémon ist übrig geblieben. Es hat den Angriff unter dem Tisch verschlafen und ist daher übersehen worden." Nanami spähte unter einen der Stühle und erblickte ein Chelast. Wahrscheinlich war es das, was sie auch zur Auswahl gehabt hätte. "Oh nein...", stieß Nanami instinktiv aus. Vor ihr saß das Pokémon, was sie am allerwenigsten gewollt hatte. Das langweilige, schwächliche Chelast. Nanami trat einen Schritt zurück.
"Willst du es nicht?", fragte Eibe ein wenig verletzt und das machte Nanami sofort ein schlechtes Gewissen, "Du musst es nicht nehmen... Aber dann wirst du erst nächstes Jahr dein Pokémon bekommen... Es sei denn, die anderen Startpokémon tauchen wieder auf, was ich allerdings leider bezweifle..."
Nanamis Augen kribbelten wieder. Sie schaut auf den Boden. "Na schön... Ich nehme es..." "Freut mich, dass ich wenigstens dich noch glücklich machen konnte..." Er überreichte ihr das Startset, erklärte ihr kurz die Funktion des Pokédex, zog dann Chelast in seinen Ball und überreichte es Nanami.
Todtraurig verließ diese das Labor. Nanami wählte extra einen Umweg, um der Freundin ihrer Mutter nicht über den Weg zu laufen. Seit sie geboren wurde hatte Nanami sich Plinfa gewünscht - und jetzt, wo es so nah war, war es weiter weg als je zuvor. "Das ist nicht fair...", murmelte Nanami und wieder begannen Tränen, ihre Wangen hinunterzulaufen. Sie lief schnell zu ihrem Fahrrad, saß auf und radelte flink davon, damit man sie nicht doch noch sehen und ansprechen würde. "Blödes Chelast", maulte Nanami weinend, "Das hab ich nicht verdient...!"
Als ihre Mutter Nanamis Gesicht sah, ahnte sie schon, was los war. "Du hast Plinfa nicht bekommen?" Nanami brach in Tränen aus und ihre Mutter umarmte sie, um sie zu trösten. "Ist ja gut...", murmelte sie beruhigend wie immer, "Setz dich an den Tisch und erzähl mir alles." Nach einigen Minuten erzählte Nanami. Ihre Mutter war vollkommen aus der Fassung darüber, was dem armen Professor wiederfahren war. Sie selbst kannte ihn schon seit Jahrzehnten. "Der arme Professor...", sagte Ayaka.
"Und... und es war nurnoch Chelast da...", flennte Nanami weiter, "Ich... ich hasse Chelast!" "Geh erstmal hoch und beruhige dich etwas", sagte die ältere, "Und wenn du dich bereit fühlst, dann sprich doch einfach mal mit Chelast. Jedes Pokémon ist ein Lebewesen, Nanami..." Nanami schwieg und erhob sich. Als sie Ziel auf die Treppe nahm, zog ihre Mutter ihren Mantel über.
"Ich gehe mal nach dem Professor sehen...", die Frau nahm einen bereits sehr zerkratzten und mitgenommenen Pokéball aus der Schublade einer Kommode im Flur, "Komm raus, Inu... Wird mal wieder Zeit für einen Spaziergang!" Sie warf den Ball im Garten auf den Boden und das prächtige Arkani schüttelte sein Fell. Ayaka streichelte das Pokémon über den Kopf und lehnte die Stirn an es. Inu genoss diese Streicheleinheit sichtlich und schleckte der Frau einmal übers Gesicht. "Lass uns nach dem Professor sehen", meinte Ayaka und schwang sich auf Arkanis Rücken, welches mit einem dumpfen Gebell lossprintete.
Nanami hatte das beobachtet und weinte nun nochmehr. Das erste Pokémon ihres Lebens sollte etwas Besonderes sein, etwas, an das sie sich gern erinnern würde. Etwas, was sie immer behalten und lieben wollte. Ein Partner und Freund fürs Leben. Stattdessen hatte sie dieses verdammte Chelast.
Das Mädchen wischte sich über die Augen und stieg die Treppe zu ihrem Zimmer hoch. Dort warf sie sich bäuchlings aufs Bett und kehrte einige Minuten in sich, bevor sie den Pokéball hervornahm. Sie presste den weiß-roten Ball fest in der Hand zusammen, bis ihr der Handknöchel wehtat - vielleicht in der unbewussten Hoffnung, dass dies ein böser Traum war. Aber es war keiner.
"Komm raus", zischte Nanami wenig freundlich und der rote Strahl manifestierte sich auf ihrem Teppich. Nach wenigen Sekunden erschien Chelast in seiner vollen Farbe und sah Nanami unbestreitbar glücklich an.
"Che!", rief es aus und hopste vergnügt einige Schritte auf sie zu, "Chelast!" "Verschwinde", brummte Nanami sauer, "Bleib da wo du bist." Irritiert blieb das kleine grüne Schildkrötenpokémon stehen, legte den Kopf schief und beobachtete das Mädchen eine Weile. Dieses kramte in ihrer Tasche, fand das Plinfa-Plüschtier und begann wieder zu heulen. Chelast, welches sich ihr nähern wollte, blieb sogleich stehen, als Nanami es anpflaumte: "Lass mich in Ruhe, verdammt!"
"Erstmal ruhig bleiben", sagte sie sich selbst und verließ das Zimmer, um sich etwas zu Essen zu machen. Der Gedanke an ihre Mutter und Inu und daran, was für ein großartiges Team sie waren, versetzte Nanami einen Stich ins Herz. Sie schmierte lieblos ein Brot und aß es ohne großen Appetit. Eigentlich tat sie das nur, um irgendetwas zu machen.
Ein leises Tippeln erklang, Chelast war ihr gefolgt und stand nun - inzwischen mit wieder strahlendem Blick - vor ihr in der Küche. "Was willst du?!", zischte Nanami barsch, "Lass mich in Ruhe!" Verwirrt schaute Chelast sie an, aber Nanami ging schnurstracks an ihm vorbei zurück in ihr Zimmer. Ohne Befehl hoppelte Chelast hinterher und hatte sichtlich Mühe beim Besteigen der Treppe, aber Nanami scherte sich nicht darum. Sie verbracht den restlichen Tag damit, in Träumerein zu schwelgen und ihr Pokémontrainerhandbuch zu lesen.
Als ihre Mutter am Abend zurückkehrte, hatte sich Nanamis Laune etwas gebessert. Sie würde losziehen und Chelast beim erstbesten Trainer gegen ein anderes Pokémon tauschen.
Nanami saß mit ihrer Mutter wie immer beim Abendessen in der Küche. Die Spaghetti, die sie gemacht hatte, waren wie immer die Besten überhaupt. Inu schlummerte in voller Größe im Wohnzimmer auf dem Teppich. "Schade, dass es so groß ist", sagte Ayaka zwischendurch, "Ich hätte es nicht entwickeln sollen, dann könnte es immer im Haus herumlaufen." "Der Schuppen ist doch bald fertig", schmatzte Nanami, "Dann braucht es nichtmehr zurück in den engen Pokéball".
Chelast, welches bis dahin völlig ignoriert unter dem Tisch gesessen hatte, bekam jetzt von Ayaka etwas Aufmerksamkeit. Sie stellte ihm eine kleine Schüssel voll von der Soße hin und dankbar schmatzte diese die willkommene Mahlzeit. "Hast du es noch nicht gefüttert?", fragte Nanamis Mutter. "Nö", erwiederte diese gleichgültig, woraufhin Ayaka die Stirn runzelte. "Nanami! Keiner kann was dafür, dass du Chelast nicht wolltest", jenes hörte bei diesem Satz auf zu essen und sah Nanami mit soßenverschmiertem Mund traurig an, "Du musst dich trotzdem um es kümmern!"
"Will ich aber nicht. Ich ziehe am Wochenende los und beginne meine Reise - und sobald ich einen Trainer treffe, tausche ich es gegen ein anderes Pokémon." "Du bist herzlos", sagte Ayaka vorwurfsvoll, nahm ihr den eigentlich noch nicht ganz leeren Teller vor der Nase weg und stellte ihn in den Abwasch. "Ich war noch nicht fertig!", protestierte Nanami und stand auf. Chelast verkroch sich unter Ayakas Stuhl.
"Mir doch egal", erwiederte diese, "Du warst auch ein Unfall, mein Kind. Stell dir mal vor, ich wäre immer so zu dir. Würde dir das gefallen? Man kann ein Pokémon nicht einfach weggeben wie einen Gegenstand, eine zu kleine Hose oder ein hässliches Oberteil!" Nanami schwieg und senkte den Blick. Ayaka fuhr fort: "Ein Pokémon ist ein Lebewesen mit Gefühlen! Und schau dir an, wie traurig du es machst!"
"Spar dir deine Kommentare", zischte Nanami und rannte die Treppe zu ihrem Zimmer hoch. Inu wurde wach und blickte dem Mädchen nachdenklich hinterher, während Chelast kurz überlegte und sich schließlich erneut die Treppe hochquälte. Nanami allerdings hatte ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen und Chelast so ausgesperrt. Traurig blieb es vor der Tür sitzen und ließ den Kopf hängen. Als Nanami nach einer Viertelstunde noch immer nicht die Tür geöffnet hatte, begann es, mit dem Kopf dagegen zu klopfen.
Nanami wurde drinnen bewusst, dass sie durch den Streit mit ihrer Mutter Chelast total vergessen hatte und ließ es schließlich hinein. "Leg dich da irgendwo hin, aber lass mich in Frieden!", blaffte Nanami und schaltete den Fernseher an. Eine übertragung vom Pokémon-Liga-Kampf in Sinnoh erweckte ihre Aufmerksam. Sie blieb beim Programm hängen und schaute zu.
Ein junger, schwarzhaariger Mann kämpfte gegen einen etwas weiblich aussehenden Typen mit grünbläulichem Haar. Der zweite Trainer hatte ein Impoleon, die letzte Entwicklungsstufe von Plinfa. Und der Schwarzhaarige warf seinen Pokéball - und daraus kam Chelterrar, die letzte Form von Chelast. "Auch das noch", schimpfte Nanami und ignorierte ihr Pokémon weiterhin, welches jetzt gespannt dem Kampf zusah.
Chelterrar und Impoleon knallten gegeneinander wie zwei Giganten und im ersten Gemenge sah es danach aus, als wären sie völlig gleich stark. Als Impoleon seinen Stahlflügel startete und Chelterrar zu Boden schleuderte, konterte dieses mit einem mächtigen Rankenhieb. Es umschlang Impoleon überraschend und bombadierte es dann mit seinen Rasierblättern. Chelast hopste freudig auf, als es sah, dass Chelterrar sich so gut schlug. "Komm schon, Impoleon", murmelte Nanami, "Dieses schwächliche Pokémon wirst du doch wohl schaffen..." Das Geflüsterte gehört, legte sich Chelast wieder schweigend nieder.
Impoleon rappelte sich auf und verwirrte Chelterrar mit seiner Agilität. Dies nutzte es schließlich und fegte es mit seiner Hydropumpe vom Platz. "Nein! Chelterrar!", rief der Schwarzhaarige, "Komm schon Partner! Wir schaffen das!" Unter Beifallsschreien der Zuschauer erhob sich Chelterrar zittrig, griff Impoleon ein letztes Mal erfolgreich mit seinen Ranken und traf es voll mit einem beeindruckenden Solarstrahl. Impoleon knallte zu Boden und war besiegt.
Chelast freute sich und hopste umher. Nanami brach in Tränen aus und heulte ungehindert. Jetzt hatte Chelterrar auch noch gewonnen, obwohl es so schwächlich war! Dieser Trainer hatte Plinfa am Anfang gewählt und er konnte so glücklich mit seinem Pokémon sein, und sie, was hatte sie? Sie hatte das verfluchte Chelast!
Chelast verstand nicht, wieso Nanami auf einmal weinte. "Chelast...!", stieß Nanamis Startpokémon aus, hopste zu ihr aufs Bett und kroch unter ihren Armen durch auf ihren Schoß. Ohne darüber nachzudenken, dass Chelast Nanami trösten wollte, stieß sie es hart von sich. Das kleine Pokémon knallte auf den Fußboden und hielt einige Sekunden schockiert inne, bevor es sich, das Blatt auf seinem Kopf vor Trauer senkend, in eine Zimmerecke verkroch und dort leise wimmerte.
Plötzlich tat es Nanami leid, als sie sah, wie todtraurig es dort in der Ecke saß. Sie wusste nicht, was sie jetzt tun sollte und weinte nur noch mehr. Nach einigen Minuten legte sie sich hin und war nach kurzer Zeit eingeschlafen. Chelast wimmerte noch ein wenig, bevor es ebenfalls in der Ecke eindöste.
Am nächsten Morgen waren Nanamis Augen gerötet und brannten. Sie war total gerädert und ein Blick auf das in der Ecke schlafende Chelast ließ ihren Kummer wieder neu entflammen. Ohne zu zögern sog Nanami Chelast in den Pokéball zurück und steckte ihn in die Hosentasche ihrer Jeans, die sie jetzt anzog. Ihr dunkler Kapuzenpullover passte gut dazu und heute wollte sie auch keine fröhlichen Farben tragen. Als sie nach unten ging, sah sie ihre Mutter in der Küche.
"Na, hast du dich beruhigt?", fragte Ayaka und trocknete sich die Hände vom Abwaschen ab. "Etwas", murmelte Nanami, "Ich gehe nachher zu Professor Eibe, schauen wie es mit den Reperaturarbeiten voran geht. Vielleicht kann ich ihm ja helfen... Ich weiß sowieso nicht, was ich die zwei Tage noch machen soll, bis meine Reise beginnt." "Er wird sich freuen", meinte Nanamis Mutter, "Ich habe dir ein weiches Ei und ein Brot gemacht, es steht auf dem Tisch." "Danke", sagte Nanami leise, schlang das Essen hinunter und machte sich gegen Mittag auf den Weg.
Dieses Mal fuhr sie mit dem Fahrrad einen Umweg. Sie wollte quer durch den Wald und etwas die Natur genießen. Vielleicht würde sie ja sogar auf ein Pokémon treffen, dass sie fangen und anstelle von Chelast als Startpokémon sehen könnte. Als Nanami gerade die tiefste Stelle des Waldes erreicht hatte, hörte sie plötzlich ein Geräusch und hielt an. Etwas wie der Klang einer Stimme erregte ihre Aufmerksamkeit, und langsam radelte sie in dessen Richtung. Nach einigen Metern erspähte sie zwei in schwarz gekleidete Männer. Nanami versteckte sich im örtlichen Gebüsch und belauschte die Zwei.
"Das ist jetzt die letzte Fuhre", sagte einer der Männer. Er trug einen langen, schwarzen Mantel. "Wie viele?" "Fünf Pokémon sind im Lastwagen. Das ist der letzte Rest, den wir nichtmehr in die anderen Laster bekommen haben." Erst jetzt bemerkt Nanami den großen Laster am Ende der Lichtung. Zweifelsohne war hier etwas Korruptes im Gange. Sonst würden sich diese Typen nicht im Wald verschanzen.
"Haben sie wirklich alles erwischt, was im Labor rumgelaufen ist?", fragte der zweite Mann. Auf seiner Brust prangte ein großes, gelbes "G". "Labor?!", flüsterte Nanami und starrte auf das "G". G wie... Galaktik?! "Oh nein...", das Mädchen vergrub sich etwas tiefer im Gebüsch. "Ein Shnurgarst und ein Chelast sind übrig geblieben... Aber das ist egal. Fahr den Laster ins Hauptquartier und mach keine Pause." "Noch so ein Höllentrip? Geht klar..."
Der offensichtliche Befehlshaber holte jetzt ein Ibitak aus seinem Pokéball und schwang sich mit ihm in die Luft. Der andere Mann seufzte. "Erstmal eine Rauchen", meinte er dann und verließ die Lichtung.
"Das ist meine Chance", Nanami sprang aus dem Gebüsch und ging zum Laster. Die hintere Ladeklappe war mit einem Schloss verriegelt, aber Nanami hörte Laute im Innern. Zweifelsohne musste dies ein Laster des Team Galaktik sein. Kaum zu fassen, dass sie sich die ganze Zeit über hier versteckt und die Pokémon Stück für Stück abtransportiert hatten.
Nanami ließ Chelast aus dem Pokéball. "öffne mit Rasierblatt das Schloss!", befahl sie und Chelast, welches sich über das erste, zumindest nicht hasserfüllte Wort gegenüber ihm freute, gehorchte und zerschnitt das Schloss.
Die beiden schlichen sich in den Laster und erspähten fünf Käfige mit Pokémon darin. Nanami traute ihren Augen kaum, als sie ein Glutexo, ein Tauboss, das Bojelin von Professor Eibe, Panflam und Plinfa erblickte. Ihre Augen kribbelten wieder, aber jetzt war keine Zeit zum Heulen. "öffne die Käfige!" Chelast zerschnitt die Käfige und die Pokémon waren frei.
"Bojelin", Nanami umarmte es und sah es dann an, "Führ die Pokémon zum Labor, okay?" "Bo!", rief es aus und sprang aus dem Laster. Die Pokémon folgten und Nanami und Chelast blieben allein zurück. "Jetzt schnell weg", sagte Nanami zu Chelast und die beiden verließen das Auto ebenfalls.
"Was zum Teufel ist hier los?!", schnarrte der Mann mit dem "G". Er stand vor ihnen. "Ihr habt die Pokémon befreit?!", schrie er, als er erkannte, was geschehen war, "Das werdet ihr bereuen!" Der Mann nahm einen Pokéball von seinem Gürtel und warf ihn vor Nanamis Füße. Chelast sprang augenblicklich vor sie und fauchte leise. Aus dem Pokéball befreite sich Impoleon. Mit finsterem Blick fixierte es Chelast und machte sich bereit. Das tapfere Pokémon wich nicht zurück.
"Wir haben keine Chance", sagte Nanami eher zu sich selbst als zu Chelast, "Impoleon ist voll entwickelt..." "Stahlflügel!", rief ihr Gegenüber und Impoleon stürzte sich auf Chelast. Dieses versuchte auszuweichen, wurde jedoch trotzdem gestriffen und fiel zu Boden. "Rasierblatt!", befahl Nanami. Sie musste es wenigstens versuchen! Vielleicht würde sie ihn so lange aufhalten können, bis Hilfe naht.
Chelast rappelte sich auf und schleuderte - im Vergleich zu Chelterrars mickrige - Rasierblätter auf Impoleon, welches sie mit einer einzigen Armbewegung abwehrte. Nanami wich zurück und ärgerte sich darüber, dass ihr erster Pokémonkampf eine vernichtende Niederlage war, dann beschloss sie, nicht aufzugeben und gab Chelast erneut einen Befehl: "Rankenhieb!" Chelast wickelte seine Ranken um Impoleon und hielt es gut verschnürt fest.
"Jetzt Rasierblatt!" Die Blätter surrten auf den Gegner zu, welcher mit einer ruckartigen Bewegung die Ranken durchbrach, die Blätter zerstörte und Chelast einen so heftigen Schlag verpasste, dass es benommen taumelte und zu Boden sackte. "Nein! Chelast", rief Nanami verzweifelt, "Steh auf! Wir müssen das schaffen!"
"Kleine, du nervst mich", äußerte das Galaktik-Mitglied harsch und stampfte mit dem Fuß auf den Boden, "Nicht nur, dass du mir einen Riesenärger beim Boss eingehandelt hast, du bildest dir auch ein, dass du mit einem Baby-Starter mein Impoleon besiegen kannst!" Der Mann sah sein Pokémon an. "Greif die Kleine an und schick sie ins Land der Träume, wir nehmen sie mit!"
Impoleon stieß sich kraftvoll vom Boden ab und raste auf Nanami zu. Diese lief ein paar Schritte nach hinten, stolperte über eine Baumwurzel und fiel auf den Hosenboden. Das gegnerische Pokémon holte aus, als nurnoch eine Armlänge entfernt war. Nanami kroch weiter zurück und aus sie sich auf den Schlag gefasst hatte, sprang Chelast zwischen sie und Impoleon und fing den mächtigen Hieb ab. Durch die Wucht wurde es einige Meter weit weggeschleudert und blieb regungslos liegen.
"Nein!", schrie Nanami, lief zu Chelast und weinte jetzt. Es war voll mit Schrammen und Kratzern und Impoleon griff ein weiteres Mal an, als Nanami Chelast in den Arm nahm und es zu schützen versuchte. Das große, blaue Pinguinpokémon schoss auf die beiden zu und Nanami presste Chelast an sich und schloss die Augen. Wenn das das Ende war, dann mit Chelast.
Ein ohrenbetäubendes Poltern ertönte und Nanami öffnete die Augen. Bojelin hatte Impoleon abgewehrt. Sie standen jetzt voreinander und drückten sich gegenseitig in die andere Richtung. Bojelin rutschte einige Zentimeter weg, sammelte dann jedoch seine Kraft und gab Impoleon einen kräftigen Stoß. Es kam vor seinem Trainer zu stehen und Nanami sah Professor Eibe und ihre Mutter angelaufen kommen. "Nanami!", rief Ayaka, "Alles in Ordnung?" "Ja!", rief diese und wischte sich durch ihr verheultes Gesicht, "Gerade noch rechtzeitig!"
Nanami stand auf und stand nun zwischen Ayaka und Eibe. "Ihr miesen Schweine habt mein Labor ausgeraubt!", zischte der Professor, "Dafür wirst du bezahlen!" "Hilf ihm, Inu!", rief Ayaka und ihr Arkani befreite sich aus seinem Pokéball.
Bojelin und Arkani standen jetzt Impoleon gegenüber, welches sich bereit machte. Zeitgleich ertönte ein Signalton aus der Tasche des Galaktik-Mitglieds. "Was?", zischte er in den Hörer des Handys, "Ich hab hier ein riesen Problem! ...Ich soll mich zurückziehen? Okay!" Er steckte das Handy wieder ein. "Impoleon, Hydropumpe!"
Das Pinguinpokémon feuerte einen gewaltigen Wasserschwall ab und sein Trainer nutzte die Ablenkung, um sich in seinen Lastwagen zu flüchten. Dann hielt er den Pokéball aus dem Fenster, zog Impoleon zurück und fuhr mit quietschenden Reifen donnernd davon.
Arkani und Bojelin rappelten sich wieder auf und Nanami, Eibe und Ayaka hatten weit genug weggestanden, um nicht verletzt, sondern nur umgeworfen zu werden. Nanami war mit dem Rücken aufgekommen, um Chelast nicht noch mehr zu verletzen.
Die drei saßen auf Arkani auf und es brachte sie in Windeseile ins Pokémoncenter, wo Chelast erst einmal versorgt und aufgepäppelt werden musste. Als die Prozedur abgeschlossen war, bekam Nanami Chelast zurück. "Pass gut auf es auf", sagte Joy, "Es hat nur ein paar Schrammen und Kratzer abbekommen, deshalb muss es nicht hier bleiben." "Danke", sagte Nanami.
"Ich bin stolz auf dich", sagte Eibe zu Nanami, "durch dich können die beiden Trainer ihr Pokémon doch noch bekommen. Und ich habe meinen Freund Bojelin wieder...". Professor Eibe tätschelte Bojelin und dieses stieß einen freudigen Laut aus. "Wem gehören Glutexo und Tauboss?" "Einer Trainerin, die vor einigen Jahren schon losgezogen ist. Auch sie wird überglücklich sein, ihre Pokémon wiederzusehen. Danke, Nanami." Nanami, die leicht errötete, kratzte sich hinter dem Kopf. "Schon okay." "Nanami, komm mit in mein Labor. Ich habe etwas für dich."
Professor Eibe führte Nanami und Ayaka in sein Labor, welches nur einpaar Schritte vom Pokémoncenter entfernt war. Dort angekommen, führte Eibe sie an einen Tisch, auf dem Panflam und Plinfa saßen. "Ich weiß, dass du dir ein anderes Startpokémon gewünscht hattest", meinte der Mann, "Ich gebe dir nun die Möglichkeit, frei zu entscheiden." "Wirklich?", fragte Nanami und sah Plinfa an.
Chelast, welches neben ihr gestanden hatte, ließ jetzt tief den Kopf hängen und schlich langsam in Richtung Tisch. Eibe hob es darauf und es legte sich sofort mit gesenktem Blick hin.
Nanami dachte nicht lange nach. Sie ging zu Plinfa und streichelte es über den Kopf. "Plinfa soll es also sein?", meinte Eibe. "Nein", entgegnete Nanami, ging zu Chelast und hob es auf den Arm, "Chelast soll es sein." Chelast sah sie mit großen Augen an. "Wozu brauche ich Plinfa, wenn ich den besten Partner habe? Ich behalte Chelast." "Eine sehr edle Entscheidung", meinte der Professor und nickte.
Ayaka legte einen Arm um Nanami. "Ich bin stolz auf dich. Du bist ein ganzes Stück erwachsener geworden." Chelast sah Nanami glücklich an und drückte den Kopf an sie. Nanami, die zum ersten Mal für Chelast Zuneigung empfinden konnte, streichelte es.
Als sie dann am Abend mit Chelast in ihrem Zimmer auf dem Fußboden saß, kramte sie in ihrer Tasche. "Das Plinfa-Plüschtier lasse ich hier", meinte sie und dann fiel ihr das blaue Band wieder in die Hände, welches Inu immer getragen hatte, als es noch ein Fukano gewesen war. Nanami nahm es heraus.
"Chelast, komm mal her", meinte sie und als das Schildkrötenpokémon freudig angetappelt kam, legte sie das Band Chelast um. "Das Band steht dir gut!", Nanami streichelte Chelast und dieses kroch auf ihren Schoß. "Es tut mir leid, dass ich so gemein zu dir war", sagte Nanami ehrlich, "Ich kam einfach nicht damit klar, dass ich nicht meinen Willen bekommen habe. Das hat sich jetzt geändert." "Che...", murmelte Chelast und döste mit geschlossenen Augen auf Nanamis Arm.
Bald darauf begann Nanami ihre Reise mit Chelast. Und bereits am Anfang war ihr klar, dass die Chelast für nichts in der Welt eintauschen würde.